Vereinigte Staaten von Europa

Die Europäische Union ist kein Staat, hat aber in einigen Bereichen Staatscharakter. Zweifelsohne braucht die europäische Einigung eine Weiterentwicklung. Der paternalistische Nationalstaat ist dafür aber kein gutes Vorbild.

Der Begriff der „Vereinigten Staaten von Europa“ geistert immer wieder herum, wenn es um die Weiterentwicklung der Europäischen Union geht. Damit wird natürlich die Frage der Finalität der europäischen Einigung angesprochen, ohne sie ernsthaft zu diskutieren. Die Politik scheut diese Finalitätsdiskussion, fällt aber heute Entscheidungen, die Folgezwänge entfalten, und damit die Antwort auf die Finalitätsfrage in eine bestimmte Richtung lenken. Wenn beispielsweise in einer Krisensituation, in der ein Staatsbankrott droht, nicht die Frage diskutiert wird, wie man einen Staatsbankrott abwickeln kann, sondern stattdessen gigantische Rettungsschirme geschaffen werden, deren Folgewirkungen von Politikern, die sie geschaffen haben, gar nicht durchschaut wird (manche geben es ja zu), dann ergeben sich daraus Folgen. Eine davon ist die nun diskutierte Umwandlung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM in einen europäischen Währungsfonds. Ökonomisch ist ein solcher europäischer Währungsfonds völlig sinnlos. Wozu braucht man in einer einheitlichen Währung einen Währungsfonds? Der inneren Logik politisch-bürokratischer Entscheidungen folgend, kann aber der einmal geschaffene ESM nicht mehr abgeschafft werden, obwohl genau das die sinnvollste Lösung, und – inklusive einer Regelung über die Abwicklung von Staatsbankrotten – die beste Motivation zur Rückkehr zu einer soliden Budgetpolitik wäre.

Vor allem stellt sich die Frage, was ist denn mit den „Vereinigten Staaten von Europa“ überhaupt gemeint? Soll Europa zentralistisch oder subsidiär, basierend auf der Herrschaft des Rechts oder dem Primat der Politik, auf Werten gebaut oder rein technokratisch, etc. etc. gestaltet werden? Gibt es ein Vorbild für diese Vereinigten Staaten? Die Diskussion und damit die Interpretationen sind schon so alt wie die Ideen zur Einigung Europas.

Richard Coudenhove-Kalergi bringt den Begriff „Vereinigte Staaten von Europa“ bereits 1923 ins Spiel. In seinem Buch „Paneuropa“ schreibt er: „Die Krönung der paneuropäischen Bestrebungen wäre die Konstituierung der Vereinigten Staaten von Europa nach dem Muster der Vereinigten Staaten von Amerika.“ Ein paar Jahre später nimmt er in der mittlerweile erscheinenden Zeitschrift Paneuropa unter dem Titel „Die Schweiz als Vorbild“ neuerlich dazu Stellung: „Die Bezeichnung „Vereinigte Staaten von Europa“ hat vielfach zu Missverständnissen geführt. Sie wurde als europäische Analogie zu den Vereinigten Staaten von Amerika aufgefasst.“ … „Europa wird niemals die amerikanische Verfassung nachahmen können; jeder Versuch, dies zu tun, würde die paneuropäische Entwicklung bedrohen. Europa kann in seiner Verwirklichung keinem fremden, sondern nur einem europäischen Beispiel folgen; nicht den Vereinigten Staaten von Amerika, sondern der Schweizer Eidgenossenschaft.“

Damit stellt er die Frage nach dem Wesen des Staates und den Aufgaben die ein Staat zu erfüllen hat. Die Schweiz ist zweifelsohne ein funktionierendes Staatswesen, mit einer dezentralen, subsidiären Struktur, mit niedrigeren Steuern als die meisten EU-Länder und einer geringeren Staatsverschuldung. Wenn wir das derzeit vorherrschende Staatsverständnis eines Wohlfahrtsstaates, wie in den Mitgliedsländern der EU großteils der Fall, als Grundlage nehmen, dann wird die europäische Einigung eine zentralistische Richtung einschlagen. Das ist deshalb so, weil der nationale Wohlfahrtsstaat zwangsweise zentralistisch organisiert sein muss. Er folgt der paternalistischen Idee, der Staat müsse für seine Bürger alles zu ihrem Besten regeln.

Diese paternalistischen Vorstellungen tauchen damit zwangsweise auch immer wieder auf Ebene der EU auf. Neu ist das nicht. Das zeigt ein Auszug aus dem Nachruf, den mein Vater Otto von Habsburg im Jahr 1972 auf Richard Coudenhove-Kalergi geschrieben hat. Er nimmt da Bezug auf eine Initiative des damaligen Kurzzeit-Kommissionspräsidenten Sicco Mansholt: „Coudenhove war gerade in den letzten Monaten seines Lebens über die neue freiheitsfeindliche Bewegung, der der derzeitige Präsident der Europäischen Kommission, Herr Sicco Mansholt, Ausdruck gegeben hat, besorgt. Mansholt ist bestimmt kein bewusster Anhänger totalitärer Gedankengänge. Sein Plan aber, das Europa von morgen einer allweisen und allwissenden Bürokratie unterzuordnen, bedroht nicht nur die persönliche Freiheit, sondern ist auch der kürzeste Weg in eine neue Form des Totalitarismus.

Coudenhove wusste, dass die bösen Kräfte der Vergangenheit niemals mit der gleichen Maske wie seinerzeit auftreten. Es ist eine immer wiederkehrende geschichtliche Absurdität, dass sich Staaten und Gesellschaften meist nur auf vergangene Revolutionen vorbereiten, selten aber die Fähigkeit besitzen, auf diesem Gebiete voraus zu denken. … . Hier handelt es sich um eine neue Form des Feudalismus, der durch die „neue Klasse“, den bürokratischen Apparat, beherrscht werden soll. Gefährlicher als je in der Geschichte ist der Feudalismus unserer Tage, weil er mit den unbeschränkten Mitteln moderner Technik ausgerüstet wäre.“ Und weil diese Ideen unter immer neuen Vorzeichen und mit immer neuen Begründungen immer wiederkehren, wird es notwendig sein, die Diskussion über die europäische Einigung und ihre Weiterentwicklung in eine Richtung zu bringen, die Subsidiarität heißt.

Die EU muss dort gestärkt werden und eine eigene Kompetenz entwickeln, wo damit ein Mehrwert für Europa und die Europäer geschaffen wird. Das ist in erster Linie die Außen- und die Sicherheitspolitik. Dazu gehört auch die Sicherstellung der Rechtsstaatlichkeit und die Garantie der Freiheit und Eigenverantwortung der Bürger und der Rahmen für eine freie Wirtschaft. Nimmt man diese Prinzipien als Grundlage einer europäischen Politik, dann wird klar, dass das Projekt Europa mit einem großen Ziel versehen ist: der Freiheit und der Sicherheit seiner Bürger.

 

Veröffentlicht am 2.März 2018.

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