Emmanuel Macron, der französische Präsident, will in Versammlungen die Anliegen der Bürger zusammenfassen, und in seine Politik einfließen lassen. Mit den Beschwerdebüchern „cahier de doléances“ von Ludwig XVI. hat er dazu ein historisches Vorbild. Damals kamen zwischen 40.000 und 60.000 solche Beschwerdebücher zusammen. Wie Macron sein Projekt umsetzen will steht noch in den Sternen, es ist zu hoffen, dass es nicht wieder zu einem Blutbad kommt wie in der Geschichte.
Solche Versammlungen, die von oben organisiert werden, solche Beschwerdebücher, die von der Staatsmacht aufgelegt werden, sind natürlich ein zweischneidiges Schwert. Sie suggerieren, dass der Staat die Probleme der Bürger lösen kann. Sie definieren ein Anreizsystem, das die Bürger dazu verleitet, vom Staat die Lösung ihrer Probleme, die Umsetzung ihrer Glücksvorstellungen erwarten zu dürfen. Aber genau das kann der Staat nur in einem sehr geringen Umfang. Wenn das Gesundheitssystem nicht vorhanden ist, kann der Staat dazu beitragen, ein Gesundheitssystem zu etablieren. Wenn es keine Infrastruktur gibt, kann er dazu beitragen, dass diese Infrastruktur geschaffen wird.
Je weiter der Staat aber ausgedehnt wird, umso weniger kann er einzelne Glücks- oder Wohlfahrtsvorstellungen der Bürger bedienen. Er kann dann Klientelpolitik zu Gunsten einer Gruppe, aber zu Lasten einer anderen Gruppe machen. Der Staat wird dadurch bürokratisch und teuer. Die Steuerzahler haben die Last für viele Wünsche zu tragen, sie haben aber kaum mehr die Chance, durch eigene Leistung ihre eigenen Lebensvorstellungen zu verwirklichen. Eigenverantwortung, Leistung, Freiheit und Selbstbestimmung werden zurückgedrängt, der Staat wird paternalistisch und damit freiheitsfeindlich.
Felix Somary hat das bereits in seinen 20 Sozialgesetzen der verkehrten Proportionen beschrieben. Im vierten Gesetz sagt er: „Je mehr Funktonen ein Staat übernimmt, desto schwerer ist seine Verwaltung zu kontrollieren.“ Im fünften: „Je größer und vielseitiger der Staat, desto einflussloser das Volk.“ Dieser paternalistische Staat geht weit über das hinaus, was die Aufgabe des liberalen Rechtsstaates ist. Dessen Aufgabe ist es nämlich nicht, einzelne Glücks- oder Wohlfahrtsvorstellungen durchzusetzen, denn das kann er nur durch Gesetze und Regulierungen (also Zwang), die wiederum die Freiheitsrechte jener beschränken, die andere Glücks- und Wohlfahrtsvorstellungen haben. Aufgabe des Staates kann es nur sein, jenen Rechtsrahmen zu schaffen, der es den freien Bürger möglich macht, ihr eigenes Leben zu gestalten, ohne dabei in die Freiheitsrechte anderer Bürger einzugreifen.
Die wahrscheinlich größte Herausforderung für den Politiker von heute besteht darin, sich genau diesem Grundsatz wieder zu verpflichten.
Der Kommentar wird auch auf der Seite der Paneuropabewegung Österreich veröffentlicht.
Veröffentlicht am 29. Märzn 2019.
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