Auch in gefestigten Demokratien zeigt sich in Untersuchungen immer wieder die Sehnsucht nach einer starken politischen Führungsfigur, nach dem berühmten starken Mann. Nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, mit totalitären Systemen, die in Europa fast alle Länder heimgesucht haben, sollte man meinen, dass ausreichend Erfahrung vorhanden ist, um derartige Vorstellungen das Programm einer unbelehrbaren kleinen Minderheit sein zu lassen. Offenbar ist aber zumindest in Westeuropa der zeitliche Abstand zu den Diktaturen so groß, dass die Generation derer, die noch persönlich erlebt haben, was „der starke Mann“ tatsächlich bedeuten kann, nicht mehr vorhanden ist, und neue Generationen nicht mehr bedenken, was die Folgen sein könnten. Manche Beobachter meinen, die Stärkung der sogenannten rechtspopulistischen Parteien seien ein Symptom für diese Sehnsucht.
Zweifelsohne ist die Geschichte geprägt von starken Männern – und auch starken Frauen – die die politischen Geschicke ihres Landes geprägt haben, Reiche begründet und vergrößert haben. Europa durchlief die Zeit des Absolutismus, in der der Fürst alleiniger Herrscher war. Ganz vergleichbar ist der Staat im Zeitalter des Absolutismus mit dem heutigen Wohlfahrtstaat nicht, die Regulierungsdichte und damit der direkte Eingriff des Staates in das Leben seiner Bürger war damals deutlich geringer als dies heute der Fall ist. Spannend ist die Beobachtung, die beispielsweise Pieter Judson in seinem Buch „Habsburg“ beschreibt, wonach mit der Schaffung des modernen Staates, noch in der Zeit des Absolutismus, die Herausbildung des Rechtsstaates begann.
Die heute festzustellende Sehnsucht nach dem starken Mann scheint aber nicht ganz unabhängig von der Idee des Wohlfahrtsstaates zu sein. Der Staat als Einrichtung, die sich um alles sorgt, von der Wiege bis zur Bahre, von der Schulbildung bis zum gesicherten Arbeitsplatz und der staatlichen Pension. Die vielen ungelösten Krisen der jüngeren Vergangenheit zeigt, dass der Staat damit überfordert wird. Die Krisen werden aber allgemein nicht einem überdehnten Staat angelastet, sondern einer zu geringen oder schlechten Regulierung. Auch die Parteien der Mitte folgen dieser Linie, verschleppen damit aber die Probleme. Dies führt dann in jene Polarisierung, in der eine starke Führungsfigur vielen als einzige Rettung erscheint. Vergessen ist das fünfte der insgesamt 20 Sozialgesetze der verkehrten Proportionen von Felix Somary: „Je größer und je vielseitiger der Staat, desto einflussloser ist das Volk.“
Selbstverständlich braucht es in der Politik Führungsqualität und Führungsverantwortung. Selbstverständlich auch in der Demokratie. Das eigenartige Chaos der britischen Brexit-Verhandlungen (und ihrer Vorgeschichte) ist nur ein Beispiel dafür, was bei Fehlen dieser Fähigkeiten herauskommt, und wie vermeintlich starke Männer die Situation zwar für ihren eigenen Vorteil, nicht aber zum Wohle der Bevölkerung, nutzen können.
Der Staat, die Politik, kann sich nicht um alles kümmern. Je stärker sich der Staat auf seine Kernkompetenzen konzentriert, desto besser kann er seine Aufgaben auch wahrnehmen. Das verlangt aber von den Bürgern eine starke Wahrnehmung der eigenen Verantwortung.
Der Artikel erscheint auch auf der Seite der Paneuropabewegung Österreich.
Veröffentlicht am 4. November 2017.